Düsseldorf, 09.06.16. Es wäre ja komisch, wenn es nicht so traurig wäre: Ministerpräsidentin Hannelore Kraft träumt von einem „Netzkodex NRW“, mit dem das Internet erstmals innerdeutsche Landesgrenzen bekommen soll. Abgesehen davon, dass selbst gestandene Diktatoren an der Internationalität des Internets verzweifeln und Kraft jederzeit mit dissidenten Nachrichten aus anderen Bundesländern rechnen müsste, scheint sie bei ihrer diesbezüglichen Rede auf dem Medienforum NRW das Grundgesetz nicht unter dem Arm gehabt zu haben. Dort wird in Artikel 5 das Recht auf Meinungs- und Informationsfreiheit garantiert – sogar den Nordrhein-Westfalen.
Laut Kraft soll in unserem Bundesland ein ein unter ihrer Ägide zusammengesetztes Gremium darüber entscheiden, was „Hetze“, also politisch unkorrekt und zu entfernen ist, und was „hilfreiche Informationen“ sind, die den Bürger bei seiner Meinungsbildung unterstützen sollen. Auf dieser Basis sollen Kodices über Sagbares und Unsagbares entstehen, die dann allerdings auch – und hier wird es wirklich gefährlich für unsere Demokratie – in „konkretes politisches Handeln“ umgesetzt werden. Sprich in Zensur. Wie ihr Parteikollege Maas und alle anderen Internet-Zensoren weltweit begründet Kraft das mit dem Schutz der Bürger vor Schmutz und Schund, als ob die in Deutschland bestehenden Grenzen der Meinungs- und Pressefreiheit nicht ausreichten. Die selbst verständlich auch im Internet gelten und gelten müssen.
Aber es gibt eben auch in demokratischen Ländern eine wachsende Zahl von Politikern, denen das zum Schutz ihrer Meinungsführerschaft und Deutungshoheit nicht ausreicht, die nichts mehr fürchten, als eine kritische vox populi, die sich ungefiltert durch parteinahe Medien und Instanzen im Internet breit macht. Laut „Reporter ohne Grenzen“ liegt Deutschland in der Rangliste der Pressefreiheit heute schon auf Platz 16 von 21 Staaten – hinter Costa Rica und Jamaika, ganz zu schweigen von Finnland oder der Schweiz. Selbst der Europarat warnte laut Netzpolitik.org kürzlich vor zunehmender Internetzensur.
Zum Glück für die Presse- und Meinungsfreiheit in unserem Land hat Kraft „das Netz“ genau so wenig verstanden wie Angela Merkel, die einst von „Neuland“ sprach, wohl mit dem Wunsch, damit genau so umgehen zu können, wie sie es mit „ihrem“ Land gerade tut. Das Internet lässt sich weder auf Nordrhein-Westfalen beschränken noch wird es sich Kodices dessen Ministerpräsidentin unterwerfen.
Was Kraft und Gleichgesinnte natürlich nicht davon abhalten wird, wenn schon nicht technisch, dann administrativ alles in ihren Möglichkeiten stehende zu tun, politisch unliebsame Inhalte auszugrenzen. Wenn sie ankündigt, „mit den etablierten Kräften aus Politik, Gesellschaft und Medien wie WDR, privaten Rundfunkanstalten, Verlegern, Journalistenverbänden, und den Kirchen einen „Netzkodex NRW“ erarbeiten lassen“, wird klar, was uns auch ohne funktionsfähige Internet-Zensur bevor steht: Eine schöne neue NRW-Nachrichtenwelt. Der Wahlkampf lässt grüßen.
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